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Durch Zeit und Raum ...

Es verblüfft mich immer wieder festzustellen, wie unterschiedlich dieselbe Szenerie, die ich früher einmal beschrieben habe, in einem späteren Kontext wirken kann. Gerade wenn zwei oder mehr Geschichten am selben Ort spielen, vielleicht zeitlich versetzt, so wie es bei meinen Romanen der Fall ist, stößt man als Schreiber von Mal zu Mal auf neue, andere Details, die demselben Setting oder derselben Szene einen anderen Aspekt, eine neue Note verleihen.
In meinem ersten Roman beispielsweise sind die Protagonisten auf dem Weg zu einem alten Weisen und von dort aus in eine Stadt. Diesen Reiseabschnitt teilen nun die Protagonisten meines aktuellen Romanprojekts; dazwischen liegt etwas mehr als ein Jahr. In der ersten Geschichte ist zunächst (auf dem Weg zum Weisen) sonniger Frühsommer, dann (auf dem Weg von dort in die Stadt) zieht Nebel herauf. In der jetzigen Geschichte ist zunächst Hochsommer, dann regnet es lange, um in einen farblich kontrastreichen Herbst zu münden. Die Szenerie - der Weg durch eine Graslandschaft zum Haus des Weisen, das Haus und der Garten, daraufhin die (mit Meilensteinen markierte) Straße in die Stadt - stellt sich jedes Mal in einem anderen Licht dar: Fast sehe ich das Holzhaus vor mir, wie es einst unter glühender Sonne dastand, das Holz knarrend vor Hitze, flimmernde Luft über dem Dach; und schließlich der Regen, den schwarze Wolken zur Erde schicken und der auf den alten Schindeln (oder sind es Ziegel?) seine unendlichen Rhythmen trommelt, vom First trieft und sich nah der Hauswand im Gras in rinnenhaftem Sumpf sammelt ...

Nicht nur Szenerien, auch Personen können sich wandeln bzw. unter einem anderen Aspekt beschrieben werden. Bei dem alten Weisen ist mir das, hoffe ich, einigermaßen gelungen; er ist vom dynamischen allwissenden, kommunikativen Erzähler/Berater zum ausgeglichenen, friedlichen, seine Weisheit gerade durch Enthaltung von Ratschlägen beglaubigenden alten - sehr alten - Lehrer der Stille geworden.
Wie man sich denken kann, schleichen sich durch solche Wandlungen der Sicht von Szenerien und Figuren Widersprüche ein. Doch das ist es wohl, woran ein Erzähler wächst. Man vergleiche einmal - das Beispiel fälllt mir spontan ein - Tolkiens Hobbit mit dem Lord of the Rings. Die kindlich-idyllische Verspieltheit der Elben im ersten Werk weicht ihrer melancholischen Sanglichkeit und ihrem Vergänglichkeitsbewußtsein im zweiten. Die Orks dagegen werden düsterer, böser, grausamer - glaubhafter. Gut, der Hobbit war ein Kinderbuch; und dennoch meine ich, wuchs auch das Werk, indem der Erzähler seinen Stil, seine ureigene Erzählweise entwickelte, zu einem anderen, größeren, dichteren und manchmal widersprüchlichen Werk heran. Die Widersprüche werden, so möchte ich mutig behaupten, durch dieses Wachstum durchaus legitimiert - auch unsere Welt ist widersprüchlich, unser ganzes Wesen ist voller Widersprüche, und immer - immer ist die Sichtweise auf einen Sachverhalt (Szenerie, Figur, Personengruppe) relativ. Sie wandelt sich mit der Zeit.

Es lohnt sich wohl immer, genau hinzuschauen, Veränderungen zu bemerken und mit dem erzählerischen Schnitzmesser herauszuarbeiten, Widersprüche (zu einem gewissen Grad) zu dulden und sich unvoreingenommen durch die beschriebenen Dimensionen von Zeit und Raum zu bewegen.
So kann der Erzähler am Erzählten wachsen. Ich bin dabei.

Äußerlichkeiten

Ich habe das Blog layoutmäßig ein wenig angepaßt. Hatte ich mir schon länger vorgenommen. :ja:
Die Suche funktioniert noch nicht, ich arbeite dran. Heute abend eventuell ein längerer Beitrag ...