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Die Liebe zu den Figuren

Begleitet ein Autor seine Figuren lange genug, so baut er eine intensive Beziehung zu ihnen auf. Sie beginnen ihrerseits, ihn zu begleiten, sein Denken, Fühlen und (manchmal) auch Handeln zu beeinflussen. Obwohl jede Figur Teil der Persönlichkeit des Autors ist, wird ihm ihre Gesellschaft niemals langweilig, weil sie, je länger er sich mit ihnen beschäftigt, desto eigenständigere Charaktere entwickeln. Gerade wenn der Autor einer Figur Züge schenkt, die von seinen eigenen stark abweichen, wird diese Figur mit der Zeit besonders interessant: Denn sie erlaubt es ihm, die Welt aus einem völlig neuen Blickwinkel zu sehen.

Umso stärker wird wiederum das Interesse des Autors an dieser Figur. Ich persönlich habe besondere Freude daran, mit solchen, mir zunächst eher “fremden” Figuren zu arbeiten. Das geht so weit, daß mir manch eine geschriebene Szene lange im Kopf herumgeht oder daß es mich beim Mittagessen mit Freunden drängt, davon zu erzählen, als handelte es sich dabei um eine erlebte Kuriosität: Stell dir vor, A hat neulich doch glatt behauptet ... Kennst du eigentlich schon B? Ein lustiger Vogel! Denk nur ... Als ich vorhin mit C über seine Zukunft gesprochen habe, schaute er mich plötzlich verlegen an und eröffnete mir ... Habe ich dir schon von D erzählt? Nein? Dann hör mal zu ...

Durchaus gewinnt man seine Figuren mit der Zeit lieb, möchte ihr Leben mit anderen teilen, über sie plaudern, ihre Erlebnisse bestaunen und sich über ihre Eigenheiten mokieren. Das ist ein erhebendes Gefühl; fast so, als hätte man sehr gute Freunde, die sich zu denjenigen aus Fleisch und Blut gesellen und das soziale Umfeld des (mutmaßlich) einsamen Autors mit ihrem Leben und Erleben bereichern.