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"Rauhreif"

Heute nachmittag ging ich so lange im Wald spazieren wie schon seit Wochen nicht mehr. Die winterliche Stimmung hielt mich gefangen: Nebel hüllte uns ein, den Husky und mich und Heidelberg im Tal, doch über uns sah man schwach den blauen Himmel - und Millionen und Abermillionen feinster Eiskristalle, die an den Ästen der Bäume gewachsen waren, zumeist in eine Richtung und so zart, daß sie abfielen, wenn man sie nur leicht anhauchte.
"Rauhreif", sagte jemand hinterher in trockenem Plauderton, als ich davon erzählte.
Für mich war es mehr als das.

Ebenfalls im "Plauderton" möchte Oliver Naujoks zukünftig von seinen Leseerlebnissen berichten, ein Vorhaben, zu dem ich selbst mich bisher aus bestimmten Gründen noch nicht durchringen konnte. (Vielleicht liegt es aber auch daran, daß ich lieber im mündlichen Sprachgebrauch plaudere als im schriftlichen.) Daß er es tut, kann ich dennoch schätzen. Und welch gewichtige Werke finden sich auf seinem Lesestapel, bzw. auf seinem "Nachttisch"! Amadis von Gallien zählt dazu. Begeistert zitiert Oliver Naujoks den Anfang des Romans:

Das Werk beginnt.
Wenige Jahre nach dem Leiden und Sterben unseres Heilands und Erlösers Jesus Christus lebte in der Bretagne ein christlicher König mit Namen Garinter, welcher, im Banne der Wahrheit stehend, von Gottergebenheit und löblicher Tugend war. Dieser hatte mit seiner hochlöblichen Gemahlin zwei Töchter gezeugt, von denen die ältere mit Languines, dem König von Schottland vermählt war.
(..)
Nun geschah es, dass König Garinter, hochbetagt, dann und wann in die Berge und zum Weidwerk ritt, um sein Gemüt zu erquicken.

Wer, wie Naujoks oder ich selber, Texte dieser Art mag, dem sei die Artuslegende in der Vulgata-Fassung empfohlen. (Ich nehme an, es handelt sich dabei um diese Ausgabe; leider besitze ich keine deutsche, sondern nur eine englische Fassung des Textes, der übrigens im 12. Jahrhundert von einem unbekannten Autor niedergeschrieben wurde, welcher sich am Ende der "Suche nach dem Heiligen Gral" als Walter Map ausgibt, der er jedoch nicht gewesen sein kann.) Nicht nur sprachlich, auch inhaltlich wird man hieran Gefallen finden.
Doch zurück zum Amadis. Ich erinnere mich noch gut an mein zweites Semester in der Germanistik. Ich besuchte gezwungenermaßen ein Seminar mit dem klangvollen, aber Langeweile verheißenden Namen "Reiseliteratur des Spätmittelalters" und entdeckte zufällig eine frühneuhochdeutsche Fassung des Amadis beim Stöbern in der Seminarbibliothek. Der Dozent erwies sich jedoch als äußerst resistent, als ich ihn dazu zu überreden versuchte, mich den Amadis als Referats- und Hausarbeitsthema bearbeiten zu lassen. Nein, Preußen hätte gefälligst eine Rolle in meinem Thema zu spielen - obgleich dies weder im Titel des Seminars noch in dessen Beschreibung im kommentierten Vorlesungsverzeichnis als Voraussetzung notiert gewesen war. So schlug ich mich also anstatt mit dem Amadis, den ich liebend gerne bearbeitet hätte, mit dem mitteldeutschen Marco Polo herum. Ich gab mir die größte Mühe, der Seminarleiter belächelte mich, und ich war am Ende froh, mit einer mittelmäßigen Zensur den Pflichtbereich "Ältere Literatur" abgehakt zu haben.

Was liegt noch auf dem Lesestapel von Oliver Naujoks? Nichts geringeres als Die Siedler von Vulgata, ein Perry-Rhodan-Band, geschrieben von einem Gastautor, und zwar Titus Müller. Oliver Naujoks' Prämisse: Herauszufinden, "was denn nun genau dieser C.S. Lewis-Preis ist", den Müller für just dieses Werk erhalten hat. Dabei darf man wohl viel Erfolg wünschen.

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