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Großes Theater

durfte ich heute abend im Rahmen eines eingelösten Geburtstagsgeschenks erleben. Gespielt wurde Shakespeares Der Sturm auf der Städtischen Bühne Heidelberg (ja, in deutscher Übersetzung). Besetzung und Inszenierung sind, wie ich meine, grandios geglückt - die halbstündige "Werkeinführung" vor der Aufführung dagegen, von einem Theatermitarbeiter gegeben, krankte ein wenig an dessen, wie mir schien, mangelnder Vorbereitung und vor allem an pädagogisch wenig wirksamer Darbietung.

Das Bühnenbild war schlicht: Ein blauer, gewellter Teppich, der fast in den Zuschauerraum "hineinschwappte", symbolisierte das Meer; die hinteren Teile der Bühne lagen dabei leicht erhöht, so daß sich ein die Handlung unterstreichendes Spiel mit der Symbolik Aufsteigen/Niederfallen ergab. Dynamik in die Szenerie brachten die aufwendigen Licht- und Toneffekte - gerade Musik wurde in vorzüglicher Dosierung eingesetzt, aber auch Naturgeräusche wie Gewitter (samt Scheinwerfer-Blitzen) konnten realistisch dargestellt werden.

Die Schauspieler waren alle sehr fähig, wobei mich persönlich Prospero, wenngleich er nach der Pause ein wenig blasser wurde, in seinem männlich-autoritären Auftreten am meisten überzeugte, dicht gefolgt von Caliban und Ariel, wobei der Luftgeist mit seiner sehr "modernen" Verkörperung vielleicht nicht jedermanns Geschmack war - in seiner ersten Szene, während er seinem Herrn Prospero schildert, wie er dessen Feinde mit ihrem Schiff havarieren ließ, lieferte er eine saloppe Tanzeinlage, die zwar lustig anzusehen war, jedoch dramaturgisch und darstellerisch ein wenig aus dem Rahmen fiel.

Alonso, der König von Neapel, und Antonio, der Bruder Prosperos, waren bewußt von Frauen dargestellt, wir hatten es also mit Alonsa und Antonia zu tun. Na gut. Laut Einführung diente diese Umbesetzung einer "zeitgemäßen" Darstellung der Problematik, außerdem sei das heutzutage nicht unübliche Drängen einer Frau nach Macht dadurch deutlich zu spiegeln (die Zuhörer lachten hüstelnd und dachten dabei wahrscheinlich ausnahmslos an Angela Merkel).
Leider rechtfertigte dieser Ansatz jedoch im Stück die Frauenbesetzungen keineswegs; König Alonso hat nämlich einfach zu wenig Text, um wahrhaft Machtspiele zu spielen, und Antonia konnte, soweit ich es mitbekommen habe, die Vorzüge ihrer Weiblichkeit ausschließlich insofern ausspielen, als sie Sebastian dank ihrer körperlichen Reize leichter zum Mordversuch an Alonsa und ihrem Gefolge zu überreden vermochte.

Gut gefallen hat mir auch Miranda, die die Frauenfraktion im Original als einzige (!) vertreten muß (und zu Shakespeares Zeiten auch dies nur in der wohlwollenden Vorstellung des Zuschauers, Frauenrollen wurden damals nämlich von Jungen übernommen) und die mir durch ihre schauspielerisch stark ausgeprägte Interaktion mit den anderen Figuren positiv auffiel.
Außerdem waren die Liebesszenen zwischen ihr und Ferdinand, dem Sohn der Alonsa, ausgesprochen einfühlsam und, bei aller Romantik, nicht ohne eine gehörige Portion Selbstironie inszeniert, was die Zuschauer bisweilen herzlich lachen ließ.

Alles in allem also eine große Aufführung, die zu sehen außerordentlich lohnenswert war. Schade nur, daß so wenig junge Leute unter den Zuschauern waren. Wird Literatur schon einmal bunt und vielseitig ausgestaltet, kommen sie nicht, die potentiellen Säulen einer zukünftigen (Lese-/Schreib-/Theater-)Kultur. Wirklich bedauerlich, und eines ist sicher: An der Darbietung liegt es in diesem Falle nicht.

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