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Vorgelesen

Auch ich hab gestern abend den “Vorlesern” gelauscht, den beiden Moderatoren jener neuen Literatursendung im ZDF, die die Nachfolge von Elke Heidenreichs “Lesen!” eingeläutet hat. Die Idee, mehr als eine Person ins Rennen zu schicken – wohl damit eher ein Diskurs entstehen kann als ein heidenreichscher Monolog – halte ich für sehr gut; daß es weniger als drei sind (von den Gästen einmal abgesehen) wird sich dagegen auch zukünftig vielleicht als etwas ungünstig erweisen. Aber man wird sehen. Eine halbe Stunde ist ruck-zuck vorbei, vor allem wenn man in dieser kurzen Spanne nicht weniger als fünf Bücher bespricht, so daß für mehr Meinungen und Argumente vermutlich schlicht keine Zeit bliebe. Auch wenn ein dritter Standpunkt den einen oder anderen Aspekt hätte stärker gewichten oder ein paar lose Diskussionsfäden sinnvoll verknüpfen können.

Doch schon jetzt wirkte die Sendung wie eine Hetzjagd, wie ein atemloser Galopp durch das Personen- und Handlungsdickicht fünf nicht unkomplizierter Neuerscheinungen (die Kästner-Erinnerungen sind freilich schon älter). Immerhin konnte einem dabei kaum langweilig werden. Mir als Zuschauer blieb keine Sekunde Zeit, eigenen Gedanken über einen Titel nachzuhängen, sobald die ihm zugemessene Besprechungszeit abgelaufen war. Die Übergänge erfolgten schnell und abrupt. Wer das eben Gehörte nicht sofort wieder vergaß, verpaßte den Anschluß.

Die Gespräche über die Bücher selbst hatten für mich etwas Einstudiertes, Drehbuchhaftes an sich. Was natürlich daran liegen kann, daß das Moderatorenteam noch zu wenig aufeinander eingespielt ist und vielleicht umso genauer auf mögliche Diskussionsthemen vorbereitet war, um nicht ins Stocken zu geraten. Möglicherweise helfen in Zukunft auch ungeplante Momente wie der gegen Schluß der ersten Sendung, als Mangold sich versehentlich auf die Lesebrille von Fried setzte, den Ablauf etwas aufzulockern.

Fazit: “Die Vorleser” ist eine vielversprechende neue Literatursendung, weniger bieder als “Lesen!”, temporeich, aber (noch?) zu atemlos und natürlich bei weitem nicht so mitreißend und kontrovers wie “Das Literarische Quartett”. Ich bin auf alle Fälle gespannt, wie es nach der Sommerpause damit weitergeht!

Das Potential des Internets

Wer einmal herzlich lachen möchte, schaut heute am besten ins Perlentaucher-Blog. Dort wird vor singenden Böcken aus Heidelberg gewarnt. Nicht nur aufgrund seiner grellen Widersprüche ist der Artikel herzerfrischend komisch.

Da wird z. B. das Potential des Internets beschworen (und Initiatoren wie auch Unterzeichnern des Heidelberger Appells implizit vorgeworfen, sich dessen nicht bewußt zu sein) – ein Potential, das der Artikelschreiber bei der Recherche nach den gewünschten Büchern allem Anschein nach selber nicht zu erschließen wußte: Les dieux ont soif gibt’s für unter zehn Euro auf eBay, wobei der Buchversand aus dem europäischen Ausland nach meiner Erfahrung nicht länger als ca. fünf Werktage dauert. Und ich bin sicher, auch die anderen gewünschten Titel findet man günstig, wenn man nur richtig zu suchen das Know-How hat (und die Mühe auf sich zu nehmen bereit ist).
Aber ich vergaß – der Autor des Artikels möchte die Bücher ja gar nicht kaufen, weil ihm seine „Regale jetzt schon zu voll“ sind. Klar, und deshalb sollen Millionen Autoren weltweit nicht mehr selbst darüber bestimmen dürfen, wann, wo und in welchem Medium ihre Werke publiziert werden. Köstlich! (Außerdem: Wer ist es tatsächlich, der hier „egoistisch“ argumentiert?)

Wie in einem polemischen Artikel zu erwarten, werden natürlich auch die mittelgroßen Themen nicht ausgespart. Von einem „Demokratisierungsgewinn“ dank massenhaft gescannter Bücher ist die Rede, von „neuen Vertriebswegen“, natürlich von Profit und vom Geldverdienen, nicht zuletzt vom „Interesse der Allgemeinheit“; und als würde das alles nicht reichen, wird noch schnell die Semantik des Begriffs des „geistigen Eigentums“ dementiert und dieser Eigentumsanspruch höchstens der besagten – reichlich diffusen – „Allgemeinheit“ zugestanden.
Weder werden Belege, Quellen oder wenigstens unabhängige Meinungen zitiert, die all diese verblüffenden Behauptungen unterstützen würden, noch läßt sich der Autor dazu herab, gedankliche Schlüsse auszuführen, die seine Thesen möglicherweise nachvollziehbar machten. Die muß man sich selber zusammenreimen.

Aber dazu ist man als vernünftiger Mensch ja auch fähig, wie ich betonen möchte. Ich jedenfalls unterstütze den Heidelberger Appell – und keineswegs, wie der Autor des Perlentaucher-Beitrags pauschal allen Unterzeichnern unterstellt, „vor lauter Angst“! Alle Kollegen, die ich kenne und die wie ich zu den Unterzeichnern gehören, führen ein Weblog, sind Mitglieder oder gar Betreiber von Online-Foren oder haben mindestens eine eigene Homepage. Wir gehören nicht zu denjenigen Autoren, denen das Internet angeblich fremd und unheimlich ist und deren „Naivität“ das Literatur-Café vor einiger Zeit mit der von „Lemmingen“ verglichen und sogar als „gefährlich“ bezeichnet hat. Sondern wir sind kritische, selbständig und frei denkende, intellektuell befähigte und durchaus vorwärtsgewandte Menschen, die – zumal als Autoren – über den Tellerrand zu blicken und über den Tag hinaus zu denken pflegen.

Vielleicht sind Leute wie wir auch gar nicht gemeint. Aber dann sollten Plattformen mit differenzierten Beiträgen, wie man sie vom Perlentaucher oder vom Literatur-Café erwartet, auch deutlicher sagen, welche Gruppen (Gruppierungen?) von Autoren sie eigentlich meinen, und nicht so rüpelhaft den Heidelberger Appell abqualifizieren. Dessen Anliegen sie vermutlich nicht einmal verstanden haben.

Die epische Fantasy lebt!

In der „Welt“ ist ein Artikel zum Thema Urban Fantasy erschienen, der feststellt, daß die Fantasy „Abschied vom Auenland“ nehme und, zitiert nach dem britischen Verleger Barry Cunningham, „von nun an Hausbesuche“ mache. Als Beispiele nennt der Autor des Artikels, Wieland Freund, allerlei bekannte und weniger bekannte Autoren, die in ihren Texten zumeist real existierende Städte oder, grob gesagt, unsere Welt bemühen, in die das Magische, Surreale und/oder Paranormale als phantastisches Element quasi einbricht.

Abgesehen davon, daß diese Strömung in der Phantastik natürlich nicht neu ist, darf man sich von Darstellungen wie dieser – so richtig sie an sich sein mögen – nicht dazu verleiten lassen zu glauben, daß der (vermeintlich) neue Trend die althergebrachte Fantasy sozusagen ablöse oder gar mittelfristig vom Markt verdrängen könne. Denn wirft man einen Blick auf das Marktsegment der von Michael Moorcock unverständlicherweise so geschmähten epischen Fantasy, so scheint sich hier kein decline, kein Rückgang abzuzeichnen.

Autoren wie Patrick Rothfuss oder Peter V. Brett stoßen mit ihren Werken auf breite Resonanz, von dem immens erfolgreichen Joe Abercrombie ganz zu schweigen; hierzulande sind jüngst beispielsweise Markus Heitz und Michael Peinkofer mit neuen, von der Leserschaft offenbar langerwarteten und begeistert aufgenommenen Reihen gestartet (Heitz: Die Legenden der Albae, Peinkofer: Die Zauberer); und nicht zuletzt scheint so manch ein (Literatur-)Verlag sein Programm langsam in Richtung Fantasy erweitern zu wollen (Droemer-Knaur, Hoffmann und Campe, Suhrkamp). Die unzähligen weiteren Autoren und Neuerscheinungen in diesem nach wie vor boomenden Marktsegment aufzulisten würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Letztlich erscheint es mir wichtig wahrzunehmen, daß es nicht nur Urban Fantasy, Steampunk oder Dark Romance gibt. Die epische Fantasy stellt eine ungebrochen starke Strömung der Phantastik dar – vielleicht gar die stärkste und dauerhafteste! –, die außerdem ständig von Autoren mit neuen Ideen bereichert wird.

Ach ja: demnächst wohl auch von mir.