Skip to content

Winterwetter

Die Tanne vor meinem Fenster ist von einer fluffigen Schneeschicht bedeckt; Dächer, Straßen und Wege waren zumindest heute morgen noch völlig zugeschneit, und die Schritte derjenigen, die sich hinaus in die Kälte wagten, wurden bestimmt von unaufdringlichem, winterlich-romantischem Knirschen begleitet. Meine allerdings nicht, denn ich habe heute ziemlich lange geschlafen.
Ich hatte die Erholung bitter nötig, denn die vergangenen (Fest-)Tage, so schön sie teils waren, hatte doch zumeist eine gewisse Hektik geprägt, die durch den weihnachtlichen Besuch zahlreicher Gäste hervorgerufen worden war. Die Familie meiner Mutter ist weitverzweigt, ist sie doch selbst das jüngste von sieben Kindern - die allesamt, fünf Schwestern und zwei Brüder, mit Fug und Recht als starke Individualisten zu bezeichnen sind (heh, jetzt wißt Ihr, von wem ich diesen Zug meiner Persönlichkeit geerbt habe).

Der Heiligabend verlief nicht ganz so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Wie schon im letzten Jahr unternahm ich einen langen Waldspaziergang, doch ich begegnete nicht, wie damals, lediglich einem einzigen Jogger, der sich über die hart- und glattgefrorenen Wege kämpfte, sondern lief, während ich durch feuchten Morast und kühlen Hochnebel stapfte, zwei Spaziergängern, einem Auto und einer ganzen Familie über den Weg - und damit mehr Menschen, als an jedem gewöhnlichen Werktag im Wald anzutreffen sind. Verrückt! Äußerst hörenswert waren dann beim Abstieg die fernen Klänge der (Gemeinde-)Posaunen: Es ist ein Ros entsprungen, Tochter Zion ...
Feiert ihr nur in den hohen Hallen eures Gotteshauses, dachte ich, mir sind die Säulen der Baumstämme lieber als die Pfeiler einer noch so prächtigen Kathedrale. Und die vielen Lichter im Tal, die ihr angezündet habt, die solltet ihr von hier oben sehen.

Noch wenige Tage, dann liegt auch das Jahr 2005 n. Chr. unwiederbringlich hinter uns, bestehend aus vielen Erinnerungen, guten wie schlechten. Vergangenheit. Wenn man bedenkt, wie viele Jahre die Menschheit schon gesehen hat und wie viele davon längst vergessen sind, weil niemand da war, der all die Erinnerungen daran hätte bewahren können - und seien es nur diejenigen gewesen, die aufgrund ihrer jeweiligen Bedeutsamkeit überhaupt bis ins kollektive Bewußtsein vordringen konnten ...

Es weihnachtet sehr

Die erste Hälfte des morgigen Tages wird sicherlich nochmal doppelt so stressig wie die vergangenen Tage, dafür wird der Abend dann, wie ich hoffe, um so schöner, geruhsamer, besinnlicher. Empfand ich Weihnachten als Kind noch als etwas Wunderbares, Berauschendes, so hat sich mein Gefühl im Laufe der Jahre eher zu einem seltsam rastlosen, unbequemen gewandelt, wenigstens was den Heiligen Abend angeht.

Mein Weihnachtsgeschenk an Euch: Das Forum, dessen Schließung schon geplant war, wird weitergeführt. Das erste Kapitel meines neuesten Projekts "DWW" dagegen ist leider nicht fertiggeworden (aber ich arbeite daran).

Wie auch immer, ich wünsche allen Leserinnen und Lesern meines Blogs angenehme Festtage. Wir haben sie uns verdient.

Einige Neuerungen

Nachdem nun die Rubrik "Humorvolles", zu erreichen über "Meine Werke" auf der Hauptseite, durch den Nikolaus-Beitrag 2005 erweitert und damit als eine einzelne Seite schlicht zu lang geworden wäre, habe ich die drei bisher vorhandenen Texte in jeweils eigene Seiten aufgeteilt. Klickt Ihr nun auf "Humorvolles" (diese Unterabteilung hieß bis vorhin übrigens "Satiren"), so erhaltet Ihr eine Übersicht mit den anklickbaren Titeln der Texte. Viel Spaß beim Lesen, wenn nicht schon geschehen!

Des weiteren werdet Ihr feststellen, daß das Layout des Blogs sich geringfügig verändert hat; Datum, Titel und ein paar Überschriften sollten nun in einer schönen Serifenschrift dargestellt werden, außerdem habe ich erstere farblich und größenmäßig etwas angepaßt sowie das Datum in die Mitte gerückt. Nun sieht das Blog noch besser aus, finde ich.
Auch habe ich entdeckt, daß bis heute nachmittag teilweise noch alte TPL-Dateien verwendet wurden, ein Umstand, der schlimmstenfalls zu Fehlfunktionen und/oder Sicherheitslücken im Blog hätte führen können. Ich bin sehr froh, daß bislang nichts dergleichen passiert ist.

A propos Blog und Forum: Klickt Ihr sie von der Hauptseite aus an, öffnet sich ab sofort ein neues Fenster. Im rechten Frame sah das auf Dauer doch ein wenig zu eingepfercht aus (nicht daß ich eines von beiden je im Frame betrieben hätte ...). Ich hoffe, das verwirrt jetzt niemanden.

Ich habe viel gelernt

... in dieser Woche. So zum Beispiel gestern, während des Besuchs lieber Freunde in Kraichtal, als ich feststellte, daß meine Fähigkeiten auf dem Klavier in den Jahren, während derer ich keinen Unterricht hatte, doch nicht so katastrophal nachgelassen haben, wie ich immer seufzend bekräftige. ;-) Oder, während der Heimfahrt, daß auf die Deutsche Bahn noch immer kein Verlaß ist (ich bin lange nicht mehr mit dem Zug gefahren). Oder, dank eines Filmbeitrags am Samstagabend, daß Kinder und Jugendliche bei der Auswahl ihrer Lektüre eben doch das "Besondere" verlangen und dies dann auch zu schätzen wissen. Oder, im Zuge der äußerst anregenden Korrespondenz mit dem Lektor einer größeren literarischen Agentur in der ersten Wochenhälfte, wie erschreckend eng die Genregrenzen auf dem Buchmarkt - zumindest für diejenigen, die vermarkten - definiert sind. (Ich werde mich um die Erlaubnis der auszugsweisen Veröffentlichung des sicherlich auch für Euch recht interessanten Mailwechsels bemühen.)

Und ich lerne weiter. Zum Beispiel, daß man sich mit der Besorgung von Weihnachtsgeschenken vielleicht doch nicht bis Mitte Dezember Zeit lassen sollte. Oder daß die Motivation zum Schreiben manchmal auch einfach insofern gefördert werden kann, als daß man es einfach tut. :-P

Vermutlich ist das ganze Leben ein Lernprozeß. "Man lernt nie aus", heißt es ja im Volksmund, und das bestimmt nicht zu Unrecht.

Neues Spiel, neues Glück

Da die Worte derzeit nicht so wirklich fließen wollen, habe ich mich wieder einmal mit großem Eifer an die Korrespondenz gemacht. Man glaubt kaum, wieviel Zeit es in Anspruch nimmt, auch nur eine einzige Arbeitsprobe zusammenzustellen, noch dazu, wenn man einen 500-Seiten-Roman vorliegen hat, jedoch nur 20 bis 30 repräsentative Seiten heraussuchen soll. Es kommt auch vor, daß man ein Exposé von fünf Seiten "auf Halde" hat, der potentielle Geschäftspartner verlangt jedoch maximal drei, im Extremfall sogar nur eine Seite.
Ich mußte heute ein einseitiges Exposé über Ran Aléron, Arrec und der Löwe abfassen. Das war aufgrund der Komplexität der Handlung, der Vielschichtigkeit der Charaktere und nicht zuletzt dank meiner Zufriedenheit mit dem bisherigen fünfseitigen Prototyp eine schwere, aufwendige Arbeit. Aber ich bin auch mit dem Einseiter zufrieden. Hoffentlich ist es auch die Agentur bzw. deren Lektorat.

Durchaus intendierte Vorurteile

Wie gestern in Nicole Rensmanns "Memorial" zu lesen war, ereilt uns das "Narnia-Special" der beiden Online-Magazine Mr. Fantastik und phantastik-news.de. Hui! So langsam scheint C. S. Lewis - oder vielmehr, sein vielleicht berühmtestes Werk - auch hierzulande bekannt zu werden. Das finde ich überaus erfreulich.

Oliver Naujoks hat sich des zweiten Bandes der Narnia-Chroniken ("Der König von Narnia", welcher zur Zeit auch als Disney-Verfilmung in den Kinos zu sehen ist) in einer Art Rezension angenommen - und dabei sehr wichtige Dinge bemerkt, die ich als langjähriger Freund der Werke von C. S. Lewis nicht unkommentiert an mir vorbeigehen lassen möchte.

Unter anderem schreibt der Rezensent (ich zitiere natürlich in 100%iger Übereinstimmung mit dem Original):

Ein beliebtes Vorurteil Lewis [sic] Werken gegenüber ist ein angeblich subversiver christlicher Hintergrund, der diese Werke durchzieht. Lewis galt in der Tat in den 40er Jahren als einer der bedeutendsten christliche [sic] Schriftsteller Englands und hat auch Elemente des Christentums in seine Narnia-Bücher eingearbeitet, diese aber unter mehreren Ebenen versteckt. Sicher muss man schon blind sein, um in der Geschichte des Löwen Aslans [sic], der als Erlöser nach Narnia kommt, getötet wird und wieder aufersteht, keine Parallelen zur Leidensgeschichte Christis [sic] zu entdecken, der Geschichte von »Der König von Narnia« tut es aber keinerlei Abbruch, wenn man diese Elemente beim Lesen ausblendet oder ausblenden will, denn die Parallelen sind sehr oberflächlich und erfahren mehrere Brechungen dadurch, dass Aslan ein Löwe ist und seine Auferstehung mit »alter Magie« erklärt wird. Auch wenn sie von Lewis durchaus intendiert waren, sind die christlichen Elemente somit eher ein Nebenaspekt, den man beachten kann, ob nun befürwortend oder kritisch, aber keinesfalls muss.

Hier wird also von einem "Vorurteil" gesprochen, was die subtilen christlichen Motive in Lewis' Werk betrifft, welche der Autor, Naujoks zufolge, nur wenige Sätze später plötzlich doch "durchaus intendiert" haben soll, während im selben Atemzug auf die Stabilität des Leseerlebnisses verwiesen wird, sofern der Leser besagte Motive "ausblendet oder ausblenden will".

Das verstehe, wer will - ich verstehe es nicht!

Vielleicht besteht der Fehler des Rezensenten darin, daß er den "subversive[n] christliche[n] Hintergrund" ein wenig vorschnell als "beliebtes Vorurteil" abtut. Der von ihm beschriebene Leidens-, Todes- und Auferstehungsweg des Löwen Aslan scheint nämlich lediglich die allzu offensichtliche Deutung der Geschichte; die Behauptung, die Löwengestalt sorge für eine "Brechung" im Geflecht der Parallelen, bestätigt die Vermutung, hier habe eine eher oberflächliche Lektüre stattgefunden. Denn von einem "Löwen" anstatt seines tatsächlichen Namens - Jesus Christus - ist bereits in der Bibel die Rede, wo es heißt: "Und einer von den Aeltesten sagte zu mir: Weine nicht! Siehe, überwunden hat der Löwe aus dem Stamm Juda, der Wurzelspross Davids, und er kann das Buch und seine sieben Siegel öffnen." (Offenbarung 5, 5)

Der Löwe wiederum ist überdies als einer der vier Evangelisten zu betrachten (Markus), welche in der Offenbarung des Johannes den Thron Gottes umgeben: "(...) [U]nd in der Mitte des Thrones und rings um um den Thron sind vier Wesen voller Augen vorn und hinten. Und das erste Wesen ist gleich einem Löwen, und das zweite Wesen gleich einem jungen Stier, und das dritte Wesen hat ein Angesicht wie das eines Menschen, und das vierte Wesen ist gleich einem fliegenden Adler." (Offenbarung 4, 6-7) Interessanterweise werden die vier Wesen sogar schon im Alten Testament (Ezechiel 1, 10) erwähnt und sind damit sogar noch älter.

Doch nicht nur Aslan hätte als Vorbereitung zu einer Rezension eine intensivere Betrachtung verdient - auch hätte man besonderes Augenmerk richten können bzw. sollen auf Edmund als denjenigen Bruder, der seine Geschwister, deren Tod in Kauf nehmend, verrät und somit als narnianischer Archetyp eines "Kains" fungiert, oder auf die Weiße Hexe, deren Herkunft in The Magician's Nephew gelüftet wird und die in engem Zusammenhang mit der Geschichte um Lilith steht, was im Hinblick auf ihre Charakterzeichnung, vom Element des Spekulativen einmal abgesehen, die Lektüre des Kapitel Genesis (1. Mose) nahelegt ... und das alles wäre für die Vorbereitung einer Rezension just eines von sieben Bänden empfehlenswert gewesen.

Oberflächlich ist, wie man an diesen wenigen Beispielen erkennen kann, keinesfalls Lewis' Werk oder dessen mythisch-religiöser Bezug zur "realen" Welt - sondern vielmehr die hiesige rezensierende Darstellung, die nicht nur argumentativ löchrig ist, sondern auch typographisch derart schludrig daherkommt, daß man sich zu Recht fragt, wer ... oder nein, ich frage lieber nicht.

An anderer Stelle schreibt Naujoks:

In der Charakterzeichnung gönnt sich Lewis keine allzu große Komplexität. Bis auf die kleine Lucy und den später geläuterten Verräter Edmund sind sämtliche Charaktere, auch der Löwe Aslan, sehr eindimensional ausgefallen, was sicherlich auch dem knappen Raum des kurzen Romans geschuldet ist.

Das konnte ich nicht wirklich nachvollziehen. Wer den siebten Band (The Last Battle) kennt, stellt mit Freude fest, daß Susans Abkehr von Narnia bereits in The Lion, the Witch and the Wardrobe - und damit sehr früh - angelegt ist, was gerade nicht auf eindimensional angelegte Charaktere hindeutet.
Aslan wiederum zeichnet sich schon durch seine würdige, bewußt entrückte Sprache sowie natürlich seine sogar den (physischen) Tod durchdringende All-Gegenwart aus.
Ferner könnte man argumentieren, daß gerade die vier Protagonisten natürlich Kinder sind - ebenso wie die Zielgruppe, so daß eine stärker ausgefeilte Charakterdarstellung, als sie Lewis ohnehin bereits geleistet hat, vielleicht wenig nützlich und dem Verständnis des Textes im schlimmsten Fall abträglich wäre.

Oliver Naujoks weiß es besser:

Auch an anderen Stellen vermisst man teilweise die Hand eines Lektors, so kann es durchaus vorkommen, dass Lewis einem die selbe [sic] Tatsache auf einer Seite zwei mal [sic] erzählt, ohne dass dies ein dramaturgisches Mittel sein soll, hier fehlte offensichtlich ein zweiter, Wiederholungen streichender Durchgang.

Ob aber derartige Wiederholungen nicht auch beabsichtigt haben sein können, fragt sich derweil ein Manuel Charisius, der bereits kürzlich in einem Kommentar auf den Umgang mit Wiederholungen hingewiesen hat und sogar glaubt, daß diese vielleicht mitunter handlungsbestimmende Funktion besitzen.

Der Rezensent sieht das ganz anders:

Die Handlung selbst lässt in einigen Punkten durchaus zu wünschen übrig [sic] und es sei hier sogar die Frage erlaubt, warum dieses Buch ein solcher Klassiker werden konnte. Denn der Plot ist sehr simpel, wenig nach vorne treibend [sic] und insbesondere fällt unangenehm auf, dass Lewis sich sehr wenig Zeit dafür nimmt, die Welt von Narnia mit Leben zu füllen, sondern im wesentlichen einen Handlungspunkt nach dem anderen einfach abhakt. Dabei werden auch größere Unglaubwürdigkeiten in Kauf genommen [sic] und man fragt sich u.a., wie aus völlig unbedarften Kindern im Finale plötzlich bruchlos große Kämpfer werden können, Schicksal hin, Vorherbestimmung her.

Zumindest die erste Frage kann ich, wenn schon nicht beantworten, so doch mit zwei weiteren verblüffenden Enthüllungen anreichern, die belegen, daß Erfolg nicht unbedingt mit Logik oder dem Fehlen auch nur kleinster Plotholes zu tun hat.

Man denke an Cornelia Funkes Tintenherz, in welchem die Hauptidee darin besteht, daß die Protagonistin Figuren aus Geschichten, die sie laut vorliest, lebendig erscheinen lassen ("herauslesen") kann. Doch was geschieht während des Finales? Sie liest nicht nur eine Figur aus Tintenherz heraus, sondern das, was sie liest, trifft Wort für Wort ein. Ein "Deus ex machina" ist nichts gegen solche Unlogik. Stört dies jedoch die Fans von Funke, die sie als "deutsche J. K. Rowling" feiern? Offensichtlich nicht.

Man denke des weiteren an Harry Potter and the Goblet of Fire, den vierten Band aus der Serie des Zauberlehrlings. Der angebliche Moody, hinter dem sich in Wahrheit der flüchtige Barty Crouch Junior verbirgt, verwandelt den Pokal des Trimagischen Turniers in einen Portschlüssel, durch dessen Berührung Harry an die Stätte von Voldemorts Wiedererweckung gebracht wird.
Aber: Hätte Crouch seinem Schüler, den er noch dazu, wie um das Paradoxon perfekt zu machen, kurz zuvor in der Auflehnung gegen den Imperius-Fluch schult, nicht das ganze Jahr über einen beliebigen Gegenstand berühren lassen können - so nach dem Motto, "Harry, would you please grab that book over there on the shelf for me?"
Ein Satz dieser Art, und das ganze Trimagische Turnier wäre uns erspart geblieben.

Lewis hatte und hat Erfolg - wenigstens im angelsächsischen Raum. Warum dem so war, wissen wir nicht. Doch es liegt weder an seinem Lektor noch an angeblichen "Unglaubwürdigkeiten" in seinen Büchern - sondern es könnte unter Umständen damit zusammenhängen, daß seine Bücher sowohl sprachlich wie auch inhaltlich großartig gearbeitet, sorgfältig durchdacht und von feinem, Orientierung und Rückbindung (wenn man schon das Wort religio gebrauchen möchte) bietendem erzählerischem Leuchtgarn durchwirkt sind. Eine deutschsprachige Rezension unter diesen Gesichtspunkten würde den Narnia-Chroniken in unseren Breiten sicherlich guttun.

Von AHA!-Erlebnissen und CG-Kreaturen

Eigentlich halte ich es nicht für erstrebenswert, in diesem Blog allzu viel über Filme zu plaudern; in diesem Falle jedoch scheint mir der eingehende Rückblick auf den gestrigen Abend durchaus gerechtfertigt. Denn schließlich haben die Bücher von C. S. Lewis einen Teil meiner Jugend wesentlich geprägt und mein eigenes literarisches Schaffen durchaus beeinflußt; und so möchte ich heute ein wenig über die aktuelle filmische Umsetzung plaudern, die zu genießen ich gestern Gelegenheit hatte.

Das Kino zu erreichen - Filmstart 20.00 Uhr - war schon ein Abenteuer, welches uns einige Nerven kostete. Aufgrund des Weihnachtsmarkts (noch dazu am Samstagabend) waren alle Parkhäuser belegt, und in der Altstadt gibt es ansonsten wenig bis gar keine Möglichkeiten, das Auto abzustellen. Noch dazu blockierten die an den Einfahrten wartenden Wagen die Straßen, so daß wir, bis wir endlich in einem der vom Kino am weitesten entfernt liegenden Parkhäuser doch noch einen Platz fanden, rund eine Dreiviertelstunde durch Heidelberg kurvten - und mit uns Tausende andere. Ich darf gar nicht an die Luftverpestung denken; das nächste Mal nehmen wir wohl besser den Bus.
Jedenfalls war es 20.10 Uhr, als wir das Kino erreichten - unsere vorbestellten Karten, abzuholen bis 19.30 Uhr, waren natürlich längst verkauft worden. (Auf die Idee, einer könnte die Karten holen, waren wir zwar gekommen, doch aufgrund der Parkplatzsuche, deren Ende nicht abzusehen war, hätte uns dies im schlimmsten Falle den Filmstart verpassen lassen; und da wäre ich persönlich dann doch lieber ein andermal gegangen, zumal Kinokarten samstags und schon gar bei Überlänge so übertrieben teuer sind.)

Am Kino selbst erwartete uns eine ca. 30 Meter lange Schlange.
"Hoffentlich kriegen wir noch Karten", sagte ich, und meine Mutter suchte die Monitore auf, die anzeigen, wie viele Plätze in welchem Film noch frei sind bzw. ob alle Karten ausverkauft sind.
"Welchen Film möchten Sie sehen?" fragte derweil eine Frau, die sich hinter uns angestellt hatte.
"Bitte?" sagte ich, und: "Narnia" auf die wiederholte Frage hin.
"Ist das nicht ein Kinderfilm?" brachte die Frau ihre Skepsis auf den Punkt.
Gestreßt, wie ich von der Autofahrt und dem Lauf vom Parkhaus zum Kino und in Anbetracht der vielen vor uns Stehenden war, murmelte ich Unverständliches, um schließlich einzugestehen, daß die Romanvorlage natürlich im Genre Kinderbuch anzusiedeln sei, ich jedoch könne mich für Film wie Buch begeistern, sofern das Werk gut gemacht sei.
"Ist Narnia das denn?" fragte die Frau weiter und schien sich der Unüblichkeit ihrer kindlich-unbefangenen Neugier nicht im geringsten bewußt zu sein. Mittlerweile stand sie rechts neben mir.
"Ich hoffe es", hörte ich mich auf schale Floskeln ausweichen.
Meine Mutter meldete, daß es noch Karten gebe, und ging erneut fort, um sich etwas zu essen zu besorgen. Unmittelbar danach stieß ein Mann zu neben bzw. mittlerweile fast ein wenig vor mir stehender Frau, mit einem dampfenden Glühweinbecher in der Hand.
"Es ist ausverkauft", sprach die Frau, und ich rätselte noch, welchen Film sie wohl meinen mochte, da fuhr sie redselig fort: "Was sollen wir gucken?"
Der Mann brummte etwas in seinen Glühwein.
Ein Mädchen kam von links herzu und begann ebenfalls, mich langsam zu überholen. Es war ein Gefühl, als würde ich von der Menge verschluckt. Ich trat so dicht an die vor mir Wartenden heran, wie es nur ging.
"Narnia?" schlug die Frau vor.
"Ist das nicht ein Kinderfilm?" brummte der Mann, Dampfwolken ausstoßend.
AHA! klickte es in mir. ER mag also keine Kinderfilme. Und SIE wollte bei mir abchecken, inwieweit dieses Kriterium wohl auf den Narnia-Streifen zutrifft. Vielleicht will SIE ihn gern sehen. Vielleicht hat ihr Aslans Mähne auf dem Filmplakat gefallen. Oder meine.
Meine Mutter kam zurück, mit heißer Pizza. Ich war zu genervt, um davon zu essen. Sie war ohnehin hungriger als ich.

Als wir um kurz vor halb neun endlich an die Kasse kamen, war endlich Entspannung möglich: Wir bekamen problemlos Karten, und es liefen noch mindestens fünf Minuten Werbung, ließ man uns wissen. Wunderbar. Wenn ich in meinem Leben jemals Werbung gut gefunden habe, dann in dem Moment, da ich diese Worte vernahm.

(Achtung, es mag sein, daß im folgenden Text "Spoiler" enthalten sind - wer den Film also noch nicht gesehen hat, könnte um so manche Überraschung gebracht werden.)

Das erste Drittel von "Der König von Narnia" ist schlichtweg grandios. Die Notwendigkeit, die Kinder aufs Land zu schicken, wird vielleicht ein wenig zu zeitaufwendig dargestellt, aber alles in allem war ich positiv überrascht. Der Zug, das Haus, das Versteckspiel. Die wohltuende Ruhe in der musikalisch großartig gestalteten Szene des Winterwaldes mit seiner Laterne. Lucys überzeugend gespielte, witzige und anrührende Begegnung mit dem Faun; die Zweischneidigkeit des Charakters; die Gemütlichkeit seiner Höhle, der fatale Sog seines Schlaflieds. (Warum Aslans erster Auftritt vorgezogen wurde - das Feuer des Herrn Tumnus abrupt auslöschend - ist zwar nicht zu begreifen, es verfehlt jedoch nicht seine Wirkung. Eine nette Idee freier filmischer Gestaltung eben, genau wie später der Phönix in der Schlacht oder das zweimal auftretende Wesen aus Blütenblättern.)
Schön auch, daß man sich hier sehr eng an die Buchvorlage gehalten hat; daß Lucy zunächst in das Haus des Professors zurückkehrt, dann Edmund ihr nach Narnia folgt und die Geschwister erst beim dritten Mal alle zusammen durch den Kleiderschrank gehen, ist in Anbetracht der Tatsache, daß heutzutage jegliches Material an die gängigen Hollywood-Maßstäbe angepaßt wird, bevor wir es auf der Leinwand bewundern können, keineswegs selbstverständlich.

Hollywood-Maßstäbe beherrschen dagegen durchaus die letzten beiden Drittel des Films. Ort- und Zeitverhältnisse sind gerafft (so z. B., als das Rotkehlchen die vier Kinder aus der Höhle herauslockt, woraufhin sie dem Biber begegnen (im Buch folgen sie dem Rotkehlchen in den Wald) - aber es gibt noch zahlreiche andere Stellen. So ist auch die Flußüberquerung mit dem Doppel-Streß (Wölfe und Tauwetter) schlicht Drehbuch-Dichtung, die der Romanvorlage nicht gerade Treue beweist. Um so netter fand ich es, daß man den Weihnachtsmann nicht - wie Peter Jackson den Tom Bombadil - gestrichen, sondern in den Film mit aufgenommen hat, wenngleich er leider gerade nicht, wie Susan später behauptet, einen "roten Mantel" trägt (das nennt man dann wohl einen Filmfehler). Warum die Biber dagegen im Film leer ausgehen, weiß wohl nur Andrew Adamson (oder seine Kollegen vom Screenplay).
Die Werte und Regeln der westamerikanischen Traumfabrik prägen leider auch weitgehend die Dialoge, so, als Edmund in unsäglich abgedroschener, floskelhafter Hollywood-Manier sein Vertrauen in den älteren Bruder Peter zum Ausdruck bringt, oder als Susan während dem gemeinsamen Mahl zwischen den Zelten des bunt zusammengewürfelten Heeres ihre Zuversicht in Worte faßt (hundertmal hat man solche Phrasen schon gehört), oder aber während He-Beaver in seiner Behausung den drei Kindern die Prophezeiung erläutert. Die "Fish & Chips" von She-Beaver machten den Bruch perfekt; ich brauchte Minuten, um wieder in die Welt des Films zurückzufinden.

Was leider ebenfalls völlig an meiner Vorstellung eines gelungenen Film-Epos' vorbeiging, waren die vielen mißratenen Schlüsselszenen. Ich sage bewußt "die vielen", weil es auch wenige gelungene gab, so beispielsweise Aslans Unterredung mit Edmund, die dessen drei Geschwister von Ferne - aber ohne irgend etwas davon zu hören - mitverfolgen. Zu diesen vielen enttäuschenden Szenen zähle ich vor allem Aslans Opferung, die dem Zuschauer ohne den niederfahrenden Dolch der Weißen Hexe und eine Großaufnahme seines Gesichts viel nähergehen könnte; des weiteren die Annäherung der beiden Mädchen an den verlassenen Steinernen Tisch und den toten Aslan - "[a]nd down they both knelt in the wet grass and kissed his cold face and stroked his beautiful fur (...) [a]nd when they saw his face without [the muzzle] they burst out crying again and kissed it and fondled it and wiped away the blood and the foam as well as they could" (The Lion, the Witch and the Wardrobe, First Harper Trophy Edition, 2000, S. 157f.), leider vermittelt der Film nichts von alledem - sowie, was ich sehr bedauerlich fand, die Erklärung des Löwen nach seiner Wiederkehr, wo er davon spricht, die Hexe habe die alte Magie "nicht verstanden", dabei ist das Ganze im Buch sehr viel klarer und eindeutiger beschrieben ("deep magic from the dawn of time" vs. "deeper magic from before the dawn of time", wobei es der Hexe nicht möglich war, hinter die Schwelle "dawn of time" zu sehen, ihm dagegen sehr wohl).
Was mich auch ziemlich wunderte, da Disney eine ähnliche Szene im Lion King (1994) außerordentlich gut gelungen ist, war der Ritt auf dem Löwen zum Schloß der Hexe, bei dem ich einen anständigen Galopp (und nicht nur halbherzigen Trab) in Zeitlupe, unterlegt mit entsprechend pathetischer Musik, geradezu erwartet hätte.
Nun ja.
Kurz vor der Schlacht wird man dafür mit satten, sakralen Klängen belohnt, die sich, Applaus an Harry Gregson-Williams, unmittelbar vor dem Aufeinanderprallen der beiden Heere auf einen dumpfen Herzschlag reduzieren, den das Gefauche von Gepard und weißem Tiger schließlich kampferprobt entzweireißt.

Doch am problematischsten blieb sicherlich der Eindruck einer der Hauptfiguren, welche sich - wie ich gerne zugebe - selbst im Rahmen heutiger Möglichkeiten als äußerst schwierig zu gestalten erweist, strebt man eine realistische, glaubwürdige filmische Umsetzung an, und welche, da lebendig, nach meiner Auffassung sicherlich auch niemals mittels reiner Computertechnik naturgetreu wird verkörpern lassen.
Die Rede ist von Aslan.
Der Löwe sieht großartig aus, edel, stark, männlich, schön - und doch fehlt ihm das Wichtigste, wofür gerade Aslan in den Narnia-Chroniken allegorisch zu sehen ist: weltenschöpferisches Leben, mit universeller Liebe begabtes Leben, ewig jegliche Form überdauerndes Leben.
Gleich bei seinem ersten "richtigen" (und doch eigentlich zweiten) Auftritt - als er aus dem Zelt herauskommt und sich seiner Anhängerschar und den drei Kindern zeigt - sieht der Zuschauer (sofern er sich ein wenig für Großkatzen interessiert und einigermaßen mit deren Physiologie und Physiognomie auskennt), was alles nicht stimmt, wenngleich es teilweise schwer in Worte zu fassen ist ... ich werde versuchen, es an Details zu erläutern: Sein Körper ist in den Proportionen fehlerhaft, das Gesicht zu lang, die Schnauze zu breit, das Becken irgendwie krumm; das Fell wirkt leblos, fast schon zu perfekt und zu seidig, nie kräuselt es sich, und die Mähne scheint aus lauter einzelnen Strähnen zu bestehen, die in dieser Einstellung fast geisterhaft zu wogen scheinen, in jener wie ein Strickpullover wirken, den Aslan mal eben übergestreift hat ...
Besonders schwerwiegend zeigen sich die Verfehlungen der CG-Spezialisten jedoch an den Augen des Löwen. Sie wirken flach, die Pupillen zu groß, der Blick leer. Außerdem zwinkert Aslan viel zu oft (das täte er nur, wenn Fliegen und anderes Getier ihm ständig an seinen Augen zu schaffen machen würden). Schlecht recherchiert, da einfach falsch, zudem sein Blick. Ich hatte es befürchtet, mich jedoch nicht getraut, darüber zu schreiben, bis ich mich nicht selbst davon überzeugt hätte. Doch nun steht eindeutig fest: Die Augen des Film-Löwen tun alles mögliche, nur nicht das, was sie sollen, geschweige denn bei einer echten Großkatze tun würden. Denn die Augäpfel der Felidae sind fixiert, d. h. ein Löwe kann seine Augen nicht hin- und herbewegen, sondern muß den Kopf drehen, wenn er den Blickwinkel ändern will. Im König der Löwen, einem Zeichentrickfilm, kann man darüber hinwegsehen, bei einer realistischen Aslan-Darstellung dagegen nicht.

Man könnte glauben, es könnte schlimmer nicht kommen, doch das ist ein Trugschluß. Noch weniger genau recherchiert - oder noch weniger originalgetreu in die CG-Kreatur implementiert - muten die natürlichen Reaktionen an, die Aslan bisweilen zeitigt, so beispielsweise seine Drohgebärde. Nachdem er mit der Weißen Hexe allein über Edmunds (und sein eigenes) Schicksal verhandelt hat, fragt sie ihn, woran sie erkennen wird, daß er sein Versprechen auch hält. Daraufhin faucht er sie an. Das sieht ungefähr so aus, wie auf diesem Screenshot zu sehen. Als ich diesen entdeckte, vermutete ich zunächst eine Momentaufnahme, deren bewegte Szeneneinbettung mich vielleicht eines Besseren belehren könnte. Doch nein - Aslan sieht im Film wirklich so aus, und zwar für die Dauer der ganzen Einstellung (ca. eine halbe Sekunde). Alas!
Denn vergleicht man die Aufnahme mit dem Bild eines echten drohenden Löwen - wie hier zu sehen:
Threat.jpg
(Dank an Chris für das Bild!) -, so stellt man fest, daß die CG-Spezialisten es mit der Gesichtspartie der Raubkatze nicht so genaugenommen haben (die auch hier sichtbaren Augenprobleme habe ich ja weiter oben schon erläutert). Die Stellung von Mundwinkeln, Oberlippe, Schnurrhaaren und Nüstern könnte verschiedener nicht sein, doch am deutlichsten tritt der Unterschied auf dem Nasenrücken zutage, der bei einem echten Löwen stark gekräuselt sein müßte (im Film ist er es, wie gesagt, bedauerlicherweise nicht im geringsten, trotz Aslans weit aufgerissenen Rachens).

Ich merke schon, ich verliere mich vor lauter Begeisterung in Details. ;-) Zum Abschluß sollte ich vielleicht sagen, daß mir der Schluß des Films, so knapp er auch gehalten sein mag, wirklich gefallen hat, vor allem natürlich die Jagdszene der älter gewordenen königlichen Geschwister - wenngleich ich auch hier nicht verstanden habe, warum das Drehbuch nicht klar zum Ausdruck bringt, weshalb sie überhaupt in die wirkliche Welt zurückkehren: weil nämlich der weiße Hirsch, den sie verfolgen, demjenigen, der ihn fängt, jeden Wunsch erfüllt, und weil drei der Geschwister - alle bis auf Königin Susan - nicht eher zu ruhen gedenken, bis sie dies geschafft haben; und da der Hirsch im Unterholz verschwunden ist, folgen sie ihm eben ohne die Pferde nach ...

Alles in allem kann ich all denjenigen, die das Buch gelesen haben, den Kinobesuch des ersten "richtigen" Narnia-Films nur wärmstens empfehlen. Diejenigen, die das Buch nicht gelesen haben, sollten ihn natürlich ebenfalls ansehen, wenngleich ich persönlich der Meinung bin, daß man die Romanvorlage vorher - wenn möglich, zur rechten Zeit, nämlich in den Kindertagen - kennen- und schätzengelernt haben sollte.
Aber das überlasse ich lieber Euch und wünsche Euch auf alle Fälle viel Spaß beim Anschauen dieses großartigen Films.

Nikolaus-Beitrag 2005

Den folgenden Text habe ich vor längerer Zeit als Ein-Mann-Sketch verfaßt; er wurde nie fertig, und nun habe ich ihn zu Eurer Erheiterung zum Nikolaus-Beitrag 2005 umgearbeitet. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und Lachen!

:-)
Marcel Métaphore:
Lyrik – eine Gattung von szintillierender Pleonexie



Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser, geschätzte Freunde der Literatur!
Nachdem ein ungestümer junger Kollege mich zum wiederholten Male gedrängt hat, doch endlich das neue Medium zu erschließen, welches den majestösen Sphären meiner Schaffenskraft bisher nicht eigentlich angemessen schien, und mir freundlicherweise anbot, die solchermaßen bewerkzustelligende Publikation eines meiner Myriaden von Fachartikeln zu übernehmen ... Also, um es kurz zu machen, ich möchte Ihnen eine Gattung vorstellen voller dithyrambischer Ikonodulie, welche dem Leser mittels szintillierender Pleonexie eine teleologische Rekonvaleszenz vom Trauma ominöser Prosa ermöglicht.

Zunächst jedoch vielleicht ein paar Worte über mich selbst, denn selbst wenn mein Konterfei dank dem immensen jährlichen lexikalischen Ausstoß meiner Produktivität in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und weiterem Druckwerk Sie durchaus schon ereilt haben mag, so fehlt doch manch einem die Gesamtschau über mein Wirken. Hauptberuflich bin ich Kritiker, betätige mich jedoch gleichermaßen auch als Produzent von Literatur. Nebenbei bin ich dazu Schriftsteller, Herausgeber, Editor, Verleger, Lektor, Redakteur, Literaturagent, Werbefachmann, Autodidakt, Enfant Terrible und außerdem Vorsitzender der von mir selbst gegründeten DGFAVSME, der Deutschen Gesellschaft für Analytiker von Sprachfehlern Marke Eigenbau – kurz, ein selbsternannter Universal-Dilettant, den so schnell sein Meister nicht finden wird.
Wo wir schon bei meiner Person sind, ich bin weder Marcel Arm-Verritzki noch Marcel Prost – und schon gar nicht Marcel in der Provenze (das ist da, wo so viel Lavendel wächst). Sie müssen sich eben mit Marcel Métaphore zufriedengeben. Geboren wurde ich noch im letzten Jahrtausend – wie die meisten der teuren Personen, die dem Zusammenfall so vieler willkürlich gewählter Lexeme an dieser Stelle beiwohnen –, und ich kann noch nicht einmal etwas dafür, sondern nur meine Eltern. Aus Spaß wurde eben Ernst, wie so oft im Leben. Wie dem auch sei – das Studium der Neuphilologie, welches ich mit dem PD Dr. phil. habil. Dr. h.c. Dr. Dr. med. dent. Dr. h.c. Dr. c.t. Dr. ß.q. Dr. cand. x.ö. abschloß, hat mich nicht eigentlich vereinnahmt, so daß die zahlreichen Hürden, die es zu überwinden galt, so hoch sie auch gewesen sein mögen, sich nie in Hindernisse verwandelten. So manch einen gebrochenen Zeh konnte ich bei diesem friktionslosen Dauerlauf durchaus verzeichnen, aber es hat sich gelohnt, meine Damen und Herren, denn meine Ferse hat beziehungsweise haben nie darunter gelitten.

Wo wir schon beim Leiden sind, auch Sie wären des Literaturbetriebs bisweilen überdrüssig, wenn Sie ähnliche Skandale aufzudecken hätten, wie sie mir in letzter Zeit immer häufiger begegnen. Zu oft natürlich erleben wir Verleger den Versuch des Plagiats, als daß wir ihm allgemeine Be- und Verachtung schenken könnten.
Ich kritisiere dennoch aufs Schärfste, wenn mir ein Elternpaar mit stolzgeschwellten Brüsten die angeblichen Werke seines in enger Zusammenarbeit entstandenen dreizehnjährigen Wunderknaben übersendet mit der Bitte, ich als aktenkundiger Literaturagent möge sie doch einmal genauer in Augenschein nehmen.
Ich will Ihnen ganz offen sagen, die ersten zwei Verse haben mir beim letzten Vorfall dieser Art völlig genügt. Auf dem ansonsten leeren Blatt prangte nämlich in der Mitte ein einstrophiges Gedicht, leicht schief abgedruckt und in einer Schriftgröße, die mit ihren mikrobischen Serifen an die Notausgaben des Raclett-Verlags erinnerte:

Frühling läßt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte!


Bei mir flatterte höchstens der rote Wimpel der Empörung, nachdem diese beiden Zeilen erst einmal den Weg durch meinen mentalen Verdauungstrakt gefunden hatten! Natürlich fällt selbst Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dank Ihrer bescheidenen literarischen Schulung auf, daß wir es hier mit einem bekannten Gedicht des australischen Schriftstellers Edward Fürchtegott Lyrike, anzusiedeln in der Epoche der Romantizistik, zu tun haben. Sein Gedichtband „Mörik“ erreichte ja bereits zu Lebzeiten des Autors einen gewissen Kultstatus. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, geschätzte Freunde der Literatur, so ist der listige Vatersohn nicht eigentlich ein begabter Schreiberling, sondern bestenfalls ein Entdecker, wo er doch gerade im Büro seines Vaters das Forschungsobjekt Fotokopierer genauer untersucht zu haben scheint! Ich muß seufzen ob solch infantiler Tricks, zu denen angesichts der ungewissen Zukunft ihrer Sprößlinge offenbar verzweifelnde Eltern fähig sind.
Ein anderer – ansonsten zweifelsohne sehr rechtschaffener Mensch – hat sogar die Dreistigkeit besessen, mir unter seinem Namen Auszüge aus Shakesbeer-Dramen anzudrehen. Dummerweise vergaß er in seiner Begeisterung (oder vielleicht aufgrund eines durch den in permanentem Einsatz befindlichen Kopierer hervorgerufenen Ozon-Rausches), den Text vor der Einreichung zu übersetzen, und glaubte wohl, es sei genug, einige Namen oder allzu auffällige Begriffe abzuändern. Das ging von „Thou, Rachel, art my goddess“ über „But Lupus is an honorable man“ bis hin zu „Two beers or not two beers – that’s the question.“
So schaffen es eben viele, ihre eigenen Pläne noch vor deren Ausführung zu vereiteln. Aber die Menschen sind eben so, und es gibt nicht eigentlich andere.

Wo wir schon beim Menschen sind, allzu menschlich motiviert mutet auch der Schluß des bedeutendsten Werkes des aus Austrien stammenden Lyrikers Wolf-Theodor Interludus Pozart an, welchen ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, keineswegs vorenthalten möchte:

Gute Nacht, gute Nacht.
Scheiß ins Bett, daß es kracht.


Da sage noch einer, die Muse verteile stets nur Küsse! Bemerkenswert an diesem Beispiel ist allerdings, daß Pozart den Ansatz einer zarten Prosodie bewahrt. Natürlich ist mir bewußt, daß man in der heutigen Zeit an der Auflösung bisheriger Gedanken interessiert ist und die meisten modernen Gedichte daher weder gereimt sind noch einen Rhythmus aufweisen. Sie werden gemerkt haben, daß es dem Gedicht von Pozart in jeder Beziehung nicht eigentlich an Substanz fehlt ... wenn Sie verstehen, was ich damit sagen möchte.

Ganz im Gegensatz zu solcher Klolyrik steht, selbstverständlich versehen mit der pikanten Duftmarke der Moderne, meine eigene Dichtung. Das folgende Beispiel daraus ging vor einigen Jahren als Teil einer Anthologie an meine Literaturagentur Schall & Rauch in Nixdorf, die, vertreten durch einen mittlerweile beförderten Lektoren, welcher die Einsendungen nach dem Seltenheitswert der aufgeklebten Briefmarken zu beurteilen pflegt, leider nicht so recht den Zugang zum Text finden konnte. (Vielleicht lag es auch daran, daß eine postmoderne Karikatur, die Terehse Gieße darstellen sollte, die Marken verunzierte.) Ich füge es hier ein, weil es, wie ich meine, einen erfrischenden Kontrast bildet zum obigen, eher dickliche Atmosphäre erzeugenden Material:

Luft Luft Luft Luft Luft
Luft Luft Luft Luft Luft
Luft Luft Luft Luft Luft
Luft Luft Luft Luft Luft
Duft
Luft Luft Luft Luft Luft
Luft Luft Luft Luft Luft
Luft Luft Luft Luft Luft
Luft Luft Luft Luft Luft


Das, meine hochverehrten Damen und Herren, ist hohe moderne Literatur. Vernehmen nicht auch Sie beim Hören dieser Zeilen den tiefen Seelenatem vollkommener Lyrik und die kühle Empfängnis des leichtesten aller vier Elemente, und erweckt die feine Nuance „Duft“, so filigran sie im grundierenden, erdenden Rahmen der Schwerelosigkeit auch bleiben mag, nicht auch bei Ihnen die Sehnsucht nach ferner Reife jenseits aller menschlichen Befriedigung? Eben kommt mir ein neuer Gedanke – vielleicht hätte mein Agent das Gedicht angenommen, wenn ich es nicht mit einem fettgedruckten „Die Weltsicht eines Rotschwanzfiedelseepfeifers am frühen Morgen“ betitelt hätte ...

Wo wir schon bei Titeln sind, oder bei Themen: Sicherlich wußten Sie, meine sehr verehrten Leserinnen und Leser, daß die Liebe gerade in der lyrischen Gattung einen hohen, wenn nicht den höchsten Stellenwert einnimmt. Rund 95% aller Gedichte, die je geschrieben wurden, handeln von der – oftmals vereitelten – Zusammenkunft zweier, in besonderen Härtefällen auch mehr als zweier, Menschen. Kürzlich lag mir folgender Vierzeiler zum Lektorat vor:

Du schöne Frau!
Wie schön bist du!
Was bist du schön!
Du Schöne, du!


Die dahinterstehende Idee ist nicht eigentlich schwer zu erkennen. Der Mann – ich weiß aufgrund des Anschreibens definitiv, daß es sich um einen solchen handelt –, der hier mit Hilfe von sprachlicher Verkünstelung das vergebliche Ansinnen hegte, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, scheint sich die Person, die er Strophe um Strophe aufs neue vergöttert, sehr genau vorzustellen. Der Leser um so weniger, denn leider geht dem Talent jenes Phrasendreschers, der sich zu Unrecht „Dichter“ nennt, eindeutig die Sensibilitivität für lexikalische Variation ab. Eine solche Begabung könnte man durchaus schulen.
Was jedoch am meisten die ansonsten fast schon pozartsch-prosodische Sanglichkeit dieses „Gedichts“, welches nicht eigentlich irgend etwas verdichtet, durchbricht, ist der penetrante Tenor der Geschlechterrollen. Wie Sie, meine geschätzten Freunde der Literatur, selbstverständlich wissen, hat einer der am meisten Beachtung findenden Kritiker unserer Zeit, dem es noch dazu gegeben ist, eine liebenswert feuchte Aussprache der deutschen Phoneme sein Markenzeichen nennen zu dürfen, einmal gesagt:
„Die Frage, ob in der Literatur Männer oder Frauen bevorzugt werden, führt uns auf ein animalisches Niveau.“ (MAV, in: Das Litheatralische Parkett, 19XX.)
Der Gute mag damit grundsätzlich recht haben, aber tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie sich die obigen Zeilen noch einmal auf der Zunge zergehen. Zeigen Sie dann anklagend auf Ihren Ehepartner und fragen Sie ihn respektive sie mit wedelndem Zeigefinger: Werden hier Männer oder Frauen bevorzugt? Und welche andere Frage könnte man sich über dieses Gedicht überhaupt noch stellen?
Meine Kleinigkeit würde in diesem konkreten Falle obige These Marcel Arm-Verritzkis mit einem Augenzwinkern in Richtung Helmut Käseeck bedenken und fast schon lakonisch darauf antworten:
„Halt, halt, lieber Freund, das ist ja interessant, was Sie da sagen. Aber es ist totaler Unsinn!“ (Wobei ich mich anstrengen müßte, nicht zu lispeln.) Denn bedenken Sie, meine hochgeschätzten Liebenden, wir müßten 95% aller je geschriebenen Gedichte einstampfen, wollten wir die im Litheatralischen Parkett geäußerte These ernstnehmen – oder gar Literatur nach ihr beurteilen ...

Die Liebe ist nicht eigentlich nur der seidene Faden, an dem das Leben der Lyrik baumelt, sondern auch das schwergewichtige Säulenfundament, auf dem der Dom ihrer historischen Basis ruht. Schon im Mittelalter ist dieser Faden, dieses Fundament unter dem Decknamen der sogenannten Minnelyrik vertreten. Lassen Sie mich hier eine Ballade einschieben, die lange verschollen war und erst kürzlich, unter wühlender Sucharbeit in den Gebeinen des Misanthrope von Maulière in dessen Gruft, wiederaufgefunden wurde. Es handelt sich um das Fragment eines geheimen Werkes Papst Gregors des Schrecklichen, das im Nachhinein einer notdürftigen Revision durch Weidmann von der Tontaubenhalde unterzogen wurde.

Diu cleyder mir verwêren
den blic vf deynen lîcham;
diu synne mir erswêren
diu arebeit yn der kyrchan.

Ih cann dich niht besizzen
sonst wiurdestu ersticcen.
Daz mittelalter, soltu wizzen,
erloubt unz niht czu ...


Hier bricht die Handschrift, die sich auf ein herausgerissenes Blatt des verlorengegangenen Terminkalenders von Papst Gregor dem Schrecklichen beschränkt, unerwartet ab. Es wird mit einigem Recht vermutet, daß Papst Gregor an anderer Stelle weitergeschrieben hat und die Ballade insgesamt aus 64 Strophen besteht. Leider ist nichts über die Adressatin bzw. den Adressaten – vielleicht ein Kardinal? – und noch viel weniger über Papst Gregor den Schrecklichen selbst bekannt; über den weiteren Inhalt seines einzigen Werkes kann man darum nur vermutmaßen.
Für die Zahl 64 sprechen dagegen, rein wissenschaftlich betrachtet, erstaunlich viele Faktoren. Über dem Balladenfragment ist in roter Schrift zweimal die liegende Acht, verbunden mit einem Stern, vermerkt. Führt man diese Rechnung aus, so erhält man die Zahl 64. Bildet man hingegen die Quersumme von 64, so erhält man die Zahl 1. Und genau das ist die Anzahl der angesprochenen Personen in diesen beiden Strophen. Die mathematische Formel könnte natürlich auch ein Symbol für die Verbindung der beiden Menschen sein, die weder in der Ballade noch in der Realität, sondern nur in dieser verklausulierten Form zueinander finden.
Eine überaus brisante Rechnung, die nicht nur die Gemüter im Vatikan in Wallung bringen dürfte.

Wo wir schon bei der Mathematik sind, eine neue Ausdrucksmöglichkeit hat selbige in einer Stilrichtung gefunden, deren Verbreitung noch nicht eigentlich fortgeschritten, deren Wirkung jedoch um so durchschlagender ist. Als kleine Kostprobe darf ich Ihnen als nächstes folgendes Werk einer meiner ehemaligen Studentinnen vor die Füße werfen:

mond
in der
nacht

son-
ne am
tag

lie-
be bei
nacht

la-
chen am
tag


Wir haben es hier mit einem leuchtenden, geradezu visionären Beispiel der Fraktalpoesie zu tun. Das Versmaß besteht aus einfachen Fraktylen, die mit einer Einzelhebung abschließen. Männliche Kadenzen, wohin man schaut, dabei eine rudimentäre Liebesthematik. (Und das von einer Studentin.) Natürlich wird auf Satzzeichen und überflüssige Großbuchstaben mit selbstverständlicher Herzlichkeit verzichtet. Mit dem Inhalt ist leider auch der gute Wille der Leserinnen und Leser vollständig flötengegangen. Wenn Sie mich fragen, meine Damen und Herren, dann hätte man der Fraktalpoesie im Zuge der Sparmaßnahmen das R und das K streichen sollen. Übriggeblieben wäre die – völlig unmännliche – Fatalpoesie ...

Daß sich in solcher Art von Lyrik nicht nur der Rhythmus ständig wiederholt, ist überhaupt eines ihrer großen Mankos. Wo wir schon bei Wiederholungen sind: Ich persönlich mag Wiederholungen nicht eigentlich leiden. Weshalb wir zum Abschluß kommen, denn, meine ob dieser Verheißung entzückten Damen und Herren, wir könnten hier stundenlang weiterforschen, Diskussionen zusammentragen und Forschungsarbeiten kopieren, ohne jemals zu einem Ergebnis zu kommen – nicht daß wir Geisteswissenschaftler das müßten, aber trotzdem.
Deshalb würde ich vorschlagen, wir enden mit einem der grandiosesten Werke, das die Menschheit je gesehen hat und welches ich letzten Sommer zur Prüfung zugeschickt zu bekommen das Glück haben durfte; ich es begeistert lesen und unverzüglich meinem Verlag, der Edition Trau, Schau & Wehm in Hinterwaldknulzbach an der Knötter (ein mit 200.000 Mitarbeitern allein im deutschsprachigen Raum zu den Marktführern zählendes Haus) zur Aufnahme in den demnächst erscheinenden Sammelband Stanzerln zur Weihnacht – eine Anthologie für Literaturkritiker mit starken Nerven vorschlagen waren natürlich eins.
Man beachte die unkonventionelle und dabei jedes Künstlerherz höherschlagen lassende Interpunktion; bade im berauschenden Vokabular des zweifellos höchst begabten Autors; werde von seiner luziden Sprachkraft durchflutet; lasse sich die Reime auf der Zunge zergehen; und überlege nach der Lektüre, ob man angesichts solch dichterischer Erhabenheit selbst nicht besser sofort Griffel und Schreibtafel für immer hinter sich lassen und als ewig schweigender Eremit nach Rio auswandern sollte.

Bald feiern wir wieder Weinacht ,
wenn Alles singt und lacht. -
Schon, ist im Ofen der Kuchenleb ,
die Omi hat schnell ein Weiteres (sonst reichen sie nicht 9Söckchen noch gewebt.
Die Kinder schmücken schon den Baum
der War so schön Mann glaubte es kaum ..
Der Weihnachtsmann ist auch wieder zur Stell`
und in den Hände4n, er Viele schöne Geschenke hält.
Silvester ist nicht mehr fern ^
wir wärmen uns ,am offenen Kaminfeuer so unheimlich gern.
?was Omi uns am heiligen Abend gekocht
hat gut geschmeckt. und alle Riefen : - sie lebe hoch!
Dann warn wir müde und schliefen `mal
und freuen uns total auf einen neuenm Weihnahctstag.


Geschätzte Freunde der Literatur, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Ihr
Marcel Métaphore

:-)

Schon Dezember!

So schnell geht das. Der letzte Monat des Jahres ist angebrochen. Ich bin wieder online - nach mehrmaligem Nachhaken bei der Hotline und ohne eine wirkliche Fehlerquelle genannt bekommen zu haben - und sehe das Jahr 2005 in die Zielgerade einbiegen. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Mehr dazu aber später. Euch allen wünsche ich eine schöne Adventszeit.